„Musik als Sprache unserer Gefühle kann eine neue Offenheit zwischen den Menschen stiften und ein besseres Verstehen ins Leben rufen.“
Gidon Kremer, Violinist
Die Ideen, Ziele und Erfahrungen des Projekts „Musik.integriert!“ führt die Stiftung weiter im Projekt „Musizieren mit Geflüchteten“.
In der Gemeinschaftsunterkunft Schafhofstraße arrangierte die in.media.vitae foundation von 2016 bis zur Schließung 2018 monatliche Musik-Abende. Dies wurde ermöglicht durch das Engagement des Stiftungsvorstandes, des Projektkoordinators und einer Gruppe des Helferkreises.
Ab Herbst 2017 folgte eine Serie von Musik-Abenden in der Gemeinschaftsunterkunft Rathsbergstraße und Ende 2019 eine erste Musik-Stunde in der Gemeinschaftsunterkunft Andernacher Straße.
Ein Ziel ist dabei, ergänzend zu den Angeboten des Helferkreises mit Offenen Treffen, Deutschstunden und Hausaufgabenbetreuung, ein abendliches Angebot zur Freizeitgestaltung zu schaffen zur Begegnung durch die Musik mit ebenso sprachlichen wie nichtsprachlichen Elementen. Ein weiteres Ziel ist, wechselseitiges Verständnis für orientalische, afrikanische und westliche Musik zu fördern.
Wir wählen einfache Lieder, Kinderlieder, Volkslieder und jahreszeitliche Lieder aus für unser Programm wie ansprechende gehaltvolle Liedtexte:
- Der Kanon „Bruder Jakob“ ist in vielen Sprachen bekannt, in deutscher, französischer und englischer Sprache oder weiteren sprachlichen Versionen. Wir verwenden das Lied gerne zu Beginn als Namenslied, in dem in der Gesangsrunde alle Mitwirkenden besungen werden: „Bruder Ali“ oder „Schwester Asam“. Hier werden alle Anwesenden angesprochen, haben und nehmen teil, und wir lernen uns mit unseren Namen kennen.
- Weitere Kinderlieder und Kanons bieten einfache Melodien und Texte – und die Schulkinder singen selbstständig „Der Hase und der Igel“, „Heho, spann den Wagen an“ und andere Lieder. So ist es sehr schön, wenn die Schulkinder Lieder aus dem Schulunterricht mitbringen: „Wir wollen jetzt singen: „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“, und dann folgen die Verse mit allen Umlauten.
- Beim Musik-Abend in der Rathsbergstraße sang ein kleiner Junge im Rollstuhl solo mit einer Choreografie das Lied „Wir sind anders“ von Robert Metcalf, das Vielheit und Diversität gut zum Ausdruck bringt: „Ich bin anders als du bist anders als er ist anders als sie. Sie ist anders als er ist anders als du bist anders als ich. Wir, wir, wir sind anders als ihr, ihr, ihr seid anders als wir. Na und? Das macht das Leben eben bunt!“
- Jahreszeitliche Lieder kommen gut an: „Winter ade“, „Im Märzen der Bauer“, „Alle Vögel sind schon da“, „Es tönen die Lieder“ oder „Es geht ein‘ dunkle Wolk‘ herein“. Diese Lieder geben immer wieder Sprech-Anlässe zu beiderseitigen Erfahrungen. „Das Laub fällt von den Bäumen“: Ein Teilnehmer, der als Landschaftsgärtner-Helfer angestellt wurde, erzählt vom herbstlichen Baumschnitt, und wir üben den Wortschatz dazu.
- „Heute hier, morgen dort“ erzählt von dem wandernden Musiker. „Über den Wolken“ spricht vom Reisen ohne Grenzen. „Die Gedanken sind frei“ singt von der Freiheit und ihren Beschränkungen, und wir sprechen über entsprechende persönliche Erfahrungen. Die Teilnehmer:innen singen mit, bringen sich und ihre eigenen Erfahrungen ein, fragen nach Textstellen und lernen mit uns zusammen.
Bei dem gemeinsamen Musizieren ist uns nicht nur wichtig, unser Liedgut in deutscher Sprache zu vermitteln mit dem Liederschatz, Texten, Wortschatz und Inhalten. Wir laden die Teilnehmer:innen ebenso dazu ein, ihre mitgebrachte Musik und ihre Lieder einzubringen. Dies findet stets sehr guten Anklang, ermöglicht den eigenen kulturellen Ausdruck der Geflüchteten wie den gemeinsamen kulturellen Austausch, vermittelt Anerkennung und Wertschätzung.
- Das iranische Lied „Chuschhalo schado chandanam“ ist gut bekannt und findet in persischen Kreisen stets Anklang. Die Teilnehmer:innen freuen sich darüber, erläutern uns die Aussprache auf Persisch (Farsi) und vermitteln uns eine Choreografie zu dem Lied: „Ich bin fröhlich und habe Mut, lieb mein Leben, es will mir gut. Ich tanz und springe, lache und singe, in meinem Herz, da ist kein Schmerz.“
- Das äthiopische Lied in amharischer Sprache, das unsere äthiopischen Teilnehmer:innen ebenfalls sehr berührt: „Ihr Kinder, Kinder hier! – Ere ligotsch“: „Ihr Kinder, Kinder hier! Nun sitzt nicht schlapp herum! Kommt alle her zu mir! Denn wer nicht spielt, bleibt dumm! Lasst tanzen, springen, freudig singen alle hier im Kreis! Lasst uns viel lachen, Faxen machen, dass es jeder weiß!“
- So freuten sich die russisch-sprachigen Teilnehmerinnen über das bekannte Wiegenlied „Spyat ustalye igrushki“ von Zoya Petrova und Arkady Ostrowsky, das wir in der deutschen Textfassung von Alexander Jansen und musikalischen Bearbeitung von Julia Erche aufgreifen konnten: „Schlafe buntes Kinderzimmer“.
Sehr anregend waren Gespräche über persische Poesie mit Beispielen der Klassiker Rumi, Saadi und Hafis sowie Übersetzungen von Friedrich Rückert und Annemarie Schimmel. Dabei lernten wir unter anderem, dass im Iran Lyrik-Wettbewerbe auch im Fernsehen veranstaltet werden, an denen Kinder und Jugendliche ebenso engagiert teilnehmen wie hierzulande bei den entsprechenden Gesangs-Wettbewerben.
Auch bei den Hausfesten und Weihnachtsfeiern in den Gemeinschaftsunterkünften Schafhofstraße und Rathsbergstraße wurde fleißig musiziert. Bei der Weihnachtsfeier in Schafhof 2017 sangen wir deutsche Weihnachtslieder, und die iranischen Besucher sangen das persische Lied: „Ki ashkato pak mikone“ – „Wer würde deine Tränen abwischen?“ Dieses Lied erklingt traditionell bei den Familienfeiern zum „Fest der längsten Nacht“ am 21. Dezember. So konnten wir es zur Weihnachtsfeier in der Rathsbergstraße vorbereiten mit persischem Text, Lautschrift und deutscher Übersetzung.
In der Gemeinschaftsunterkunft Rathsbergstraße leitete zeitweise eine Aserbeidschanerin eine Kindertanzgruppe an, die anmutige Choreographien zu Weihnachtsliedern, Pop-Songs und orientalischen Weisen beitrug.
Eine erste Musik-Stunde konnten wir am 11. Dezember 2019 in der Gemeinschaftsunterkunft Andernacher Straße gestalten. Die Teilnahme in der Cafeteria des Hauses war überwältigend: 20 Erwachsene und 50 Kinder. Am 29. Januar 2020 ging es in einer kleineren Runde weiter mit der zweiten Musik-Stunde.
In der Corona-Zeit waren und sind bisher keine Veranstaltungen möglich. Wir hoffen darauf, das Programm bezeiten wieder aufnehmen zu können.
Zur Weiterentwicklung des Vorhabens „Musizieren mit Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften“ und zum fachlichen Austausch mit Kolleg:innen haben wir das Projekt eingetragen in das Informationsportal Musik und Integration des Deutschen Musik-Informationszentrums:
Allen Teilnehmenden und Mitwirkenden sei herzlich gedankt!